Der junge Patriot Paco und sein Georgien
https://www.facebook.com/giorgi.bandzeladze.5/videos/623307120370593
Das war aber eine Überraschung, als ich kürzlich dieses Video aus dem Jahr 1992 in facebook entdeckte. Es zeigt Paco Svimonishvili, den Sohn der Schuldirektorin, über die wir im Dezember 1989 erstmals nach Georgien kamen, zusammen mit den Jungs, die damals schon bei meiner ersten Supra am Tisch saßen und uns in die Geheimnisse der georgischen Polyphonie einweihten, zumindest dieses versuchten. Diese Musik wirklich zu verstehen, bedarf es einiger Jahre.
Paco – er ist leider in jungen Jahren schon verstorben – war ein ebenso begeisterter wie talentierter Dichter, was er mit dieser Liebeserklärung auf seine georgische Heimat deutlich unter Beweis stellte. Und dies vor dem klanglichen Hintergrund eines Chores, den ich später dann als „Ensemble Georgica“ auf der einen oder anderen Konzertreise durch Deutschland, Luxemburg und die Schweiz begleiten durfte. Der Mann, der ihn aufforderte, das Gedicht vorzutragen, war sein Vater Avto Svimonishvili.
Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Anekdote. Obwohl ich den Inhalt seiner Poesie nur erahnen konnte, ging mir Pacos gestenreicher Auftritt nie mehr aus dem Sinn. So blieb Paco, der jugendliche Patriot, in meinem Gedächtnis bis heute. Erst bei mehrmaligem Anschauen dieses Videos fiel mir dann auf, dass in den ersten Sekunden im Hintergrund zwei Menschen zu sehen sind, die nicht nur mir bekannt vorkamen. Richtig: Es sind meine Frau und ich. Wir haben diesen Abend live miterlebt und zwar in der Schweiz, wo das Ensemble Georgika in September 1992 gastierte. Und damit ist dieses Video viel mehr als nur ein persönliches Familien-Dokument…
Ein Dokument ist das Video aber auch für Paco, seine Freunde, seine Familie und deren National-Gefühl, man kann es gerne auch Patriotismus nennen. Das Gedicht, das der junge Mann aus voller Überzeugung verfasst hatte und immer wieder vortrug, handelte von der Liebe zu seinem Land, seiner Geschichte, der heiligen Nino und seiner Menschen. Historisch gesehen durchaus eine Beschreibung der post-sowjetischen, nationalen Aufbruchsstimmung an den Graswurzeln im Lande. Vielleicht hat jemand eine gute Übersetzung dieses Gedichts? Ich habe in meinem Archiv leider keine gefunden.
Zwei weitere Anekdoten von und mir und Paco verdienen es jetzt, erzählt zu werden. Zum einen ein heftiger Streit, den ich mit Paco einmal hatte. Es ging um Chinkali, eine der vielen georgischen Nationalspeisen. In leicht ironischer Anwandlung hatte ich Paco davon überzeugen wollen, dass es sich dabei kaum um eine georgische Ur-Erfindung handeln könne, denn meines Wissens nach hätten die Chinesen als erste die Technologie entwickelt, Hackfleisch in irgendwelchen Nudelteigtaschen zu verpacken und zu garen: Wantan. Vermutlich seien sie dann über die Seidenstraße nach Georgien gelangt und von da als Ravioli nach Italien und als Pelmeni nach Russland und schließlich auch ins Schwabenland, wo sie als „Maultaschen“ ihre höchste Vollendung erreichten und das als „Herrgotts-Beschiss“. Dass ich dabei völlig übersehen hatte, dass die erste urkundliche Erwähnung von Wantans in China aus dem 17. Jahrhundert stammte, hat mir Paco dann recht lautstark beigebracht: Wir Georgier haben unsere Chinkali selbst erfunden und brauchten keinen Ideengeber. Im Gegenteil, alle anderen Völker hätten sich ihre Art der Nudelteigtaschen von den georgischen Chinkali abgeguckt und natürlich sehr vereinfacht, da sie keine Lust hatten, in künstlerischer Kleinarbeit so viele Falten in den Nudelteig zu knubbeln wie georgische Hausfrauen. Natürlich gab ich bei dieser überzeugenden Belehrung durch Paco klein bei und versprach, solchen Unsinn niemals zu wiederholen. Und dabei ist es geblieben, lieber Paco, bis heute…
Ganz nebenbei, was ich heute auf google als historische Erklärung des Wortes Wantan gefunden habe: „Wan Tan stammt aus dem Persischen: So wurden früher Kinder genannt, deren Beine gelähmt waren. In der chinesischen Küche hingegen sind Wan Tan gefüllte Teigtaschen.“ Wie konnte ich nur georgische Chinkali mit dieser sprachwissenschaftlichen Erkenntnis in Verbindung bringen…
Eine andere Geschichte, die sehr viel vom Patriotismus des jungen Georgiers erklärt: „Tamar Mepe“ heißt, auf Deutsch übersetzt: „König Tamar“. Nicht Königin Tamar, nein König Tamar. Bis heute heißt die der früheren georgischen Königin Tamar gewidmete Straße in Tbilissi auch: Tamar Mepe – König Tamar. Königin heißt auf Georgisch: „Dedophali“. Und da Tamar keinen Mann an ihrer Seite hatte, so wird mir heute erklärt, ist sie eben noch immer König und muss sich nicht mit der weiblichen Abwandlung ihres Titels zufrieden geben. So hat es mir Paco damals auch wortreich und in völliger Überzeugung erklärt: Wir Georgier haben – als einziges Volk – unsere Tamar als „König“ akzeptiert und nicht zur Königin „degradiert“. Ob das heute im Zeitalter des Genderns und der Gleichberechtigung der Geschlechter mehrheitlich noch so gesehen wird?