Georgien und die NATO-Mitgliedschaft
Angesichts der aktuellen Entwicklung um den bevorstehenden Trump-Putin-Friedens-Deal in der Ukraine und damit auch um die einmal versprochene Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO liegt es nahe, sich auch mit dem Thema Georgien und die NATO zu befassen. Immerhin hat ja auch Georgien auf dem NATO-Gipfel von 2008 die feste Zusage einer Mitgliedschaft im Bündnis bekommen. Bis heute wurde diese Zusage auf jedem NATO-Gipfel formell bestätigt, ohne jedoch auch nur einen kleinen Schritt in Richtung Mitgliedschaft zu realisieren. Für Insider war der Gipfelbeschluss von 2008 von Anfang an nichts als ein diplomatisch-politisches Placebo ohne jede Chance auf Realisierung. Bester Beweis: Das ebenso merkwürdige wie deutliche Verhalten des amerikanischen Präsidenten Donald Trump nach dem NATO-Gipfel von 2018 in Brüssel. An dieser, seiner Einstellung, dürfte sich in den letzten vier Jahren nichts geändert haben. Die Frage heute sollte doch sein: Wann rafft sich die NATO dazu auf, in der Sache NATO-Mitgliedschaft Georgiens endlich einmal Klartext zu reden? In der Kaukasischen Post vom Juli 2018 habe ich über diese Gipfel-Entwicklung in Brüssel mit folgendem Artikel berichtet.
Wann endlich ist St. Nimmerlein?
Georgien und die NATO-Mitgliedschaft – wohl eine unendliche Geschichte
Deutlicher als Donald Trump in seiner Pressekonferenz zum Abschluss des NATO-Gipfels in Brüssel hätte niemand vermitteln können, wie es um den Wunsch Georgiens nach einer baldigen Voll-Mitgliedschaft im Bündnis steht. Auf die Frage, wie man Georgien bei der Realisierung dieses Wunsches beistehen könne, antwortete er lapidar: „Die Georgier waren ja hier und sie haben einen guten Eindruck hinterlassen.“ Punkt. Nächste Frage bitte. Und auf die weitere Einlassung einer georgischen Journalistin, wann Georgien denn Mitglied der NATO werden könne, wurde er noch knapper und damit noch deutlicher: „Irgendwann einmal, jetzt nicht.“ Zwei Äußerungen, die in den georgischen Agenturen kaum zitiert wurden. Dafür durfte der georgische Außenminister David Zalkaniani erklären: „Es ist uns gelungen, dass all unsere Erwartungen an diesen Gipfel erreicht wurden.“ Er widersprach damit den vielen politischen Analysen vom schlechtesten Gipfel in der Georgien-NATO-Geschichte. Dies sei nicht wahr. „Alle Versprechungen, die uns im Zusammenhang mit der NATO gemacht wurden, wurden eingehalten. Und wir arbeiten weiter in diese Richtung.“ Ein Blick in die Gipfelerklärung von Brüssel verschafft Aufklärung. Dort heißt es: „Wir bestätigen erneut die Entscheidung vom Gipfel in Bukarest im Jahr 2008, dass Georgien Mitglied der NATO werden wird.“ Das Dokument bestätigt aber auch, das ein so genannter MAP (Membership Action Plan) integraler Bestandteil dieses Prozesses ist.
Das sind die entscheidenden Sätze, nicht weitschweifende Erklärungen wie diese: Die NATO begrüßt die seit 2008 erzielten Fortschritte und die wichtige Rolle der NATO-Georgien-Kommission und des jährlichen nationalen Programms. Die NATO erkennt die bedeutenden Fortschritte an, die Georgien bei den Reformen erzielt hat, die fortgesetzt werden sollten. Die NATO hilft dem Beitrittskandidaten Georgien, Fortschritte bei der Vorbereitung auf die Mitgliedschaft zu machen und Georgiens Verteidigungsfähigkeiten zu stärken. Die NATO begrüßt die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis und Georgien im Bereich der Sicherheit des Schwarzen Meeres und sie schätzt Georgiens bedeutenden Beitrag zu NATO-Missionen sehr. Diese Bemühungen zeigen das Engagement und die Fähigkeit Georgiens, zur Euro-atlantischen Sicherheit beizutragen, heißt es in der Erklärung. Und: „Die Beziehung Georgiens zur NATO enthält alle praktischen Instrumente, das Land auf eine Mitgliedschaft vorzubereiten.“
Diplomatische Formulierungskunst, aus der jeder alles und nichts herauslesen kann, vor allem aber auch das Gegenteil. Ein Blick in die für Georgien wechselvolle Geschichte der NATO-Gipfel hilft, hinter dem Wust an Deklarations-Lyrik den wahren Stand Georgiens auf seinem Weg zur Vollmitgliedschaft zu erkennen. Es begann im Jahr 2008, einige Monate vor dem verhängnisvollen Krieg um Süd-Ossetien. George W. Bush überraschte damals die Allianz mit seinem Wunsch, Georgien sofort als Voll-Mitglied in die NATO aufzunehmen. Da es in Mitteleuropa, vor allem in Deutschland und Frankreich, jedoch erhebliche Einwände gegen diese Erweiterung gab, fand man den Kompromiss, der allen die Chance zur Gesichtswahrung bot: Georgien erhielt ein grundsätzliches Ja zur Vollmitgliedschaft, allerdings über das aufwändige und zeitraubende Verfahren eines MAP. Und daran hat man in Georgien nahezu zehn Jahre fest geglaubt und von Gipfel zu Gipfel die die Einlösung des MAP-Versprechens eingefordert. „Beim nächsten NATO-Gipfel kann für uns nur die Verabschiedung eines MAP auf dem Tisch liegen“, hatte einmal Verteidigungsministerin Tinatin Khidasheli recht großspurig angemahnt. Sie musste sich aber noch vor dem Gipfel im Jahr 2016 mit der Bemerkung des NATO-Generalsekretärs abspeisen lassen, man könne schließlich auch ohne MAP eine Vollmitgliedschaft erhalten. Und seither ist genau dies der Plan, zumindest in Tbilissi. Dass aber auf jedem Gipfel im Kleingedruckten geschrieben wurde, dass der Beschluss von Bukarest vollinhaltlich bestätigt werde, also eine Mitgliedschaft nur über MAP, wurde in Tbilisi immer großzügig übersehen. Man erfreute ich an den vielen wortreichen Erklärungen unterschiedlicher Politiker aus der NATO oder aus einigen Mitgliedsstaaten, dass man Georgien auf seinem Weg in die volle Integration in die NATO unterstützen werde. In der Substanz allerdings hat sich seither wenig bewegt, außer einem so genannten „Substantial Package“, einem Sonderprogramm der militärischen Ausbildung in Georgien mit Unterstützung der NATO. Die Gipfelerklärung von Brüssel hat es jetzt – wieder einmal – klar gestellt: Eine NATO-Mitgliedschaft ist in weiter Ferne. Vorerst gibt es nicht mehr als eine Intensivierung der Kooperation und Unterstützung Georgiens auf seinem nicht nur militärischen, sondern auch gesellschaftlichen Reform-Prozess, der nebenbei auch recht deutlich angemahnt wird. Und das wird dann in Tbilissi Regierungs-amtlich als das „Erreichen aller Ziele“ dargestellt.
Das Problem Georgiens auf dem Wege einer NATO-Mitgliedschaft ist offensichtlich. Die Abspaltung zweier Provinzen – Abchasien und Süd-Ossetien – infolge des 2008-er Krieges und deren diplomatische Anerkennung als unabhängige Staaten durch Russland ist das Haupthindernis, da sich die NATO nicht in eine militärische Beistandsverpflichtung für diese beiden Gebiete begeben wird. Damit besitzt Putin de facto eine Art „Veto-Instrument“ gegen die Mitgliedschaft Georgiens in der NATO, das er noch auf längere Zeit benutzen kann. Denn das Ziel einer Vollmitgliedschaft in der NATO dürfte sich kaum mit dem zweiten Hauptziel georgischer Politik vertragen, der Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes, also der Einbindung Abchasiens und Süd-Ossetiens in einen dann wie auch immer konstruierten georgischen Staat. Dazu braucht es einen ganz langen Atem, wie man aus der Geschichte der deutschen Wiedervereinigung lernen kann, und vor allem eine Intensivierung des direkten Dialogs und Friedensprozesses mit den abtrünnigen Provinzen. Ob dazu das georgische Dauer-Narrativ von der russischen Okkupation ausreicht, ist fraglich. Denn beim anschließenden Treffen der beiden Alpha-Tiere aus Moskau und Washington in Helsinki hat dieses Thema zumindest in öffentlichen Auftritten nicht stattgefunden. Vielleicht hilft diese Erkenntnis in Tiflis weiter: Da trifft sich der Präsident des Haupt-Verbündeten mit dem Präsidenten des Haupt-Gegners, mit dem Okkupanten also, und die georgische Frage wird nicht einmal angesprochen. Der Präsident der USA protestiert noch nicht einmal gegen das, was sein Verbündeter Georgien als Okkupation seines Landes bezeichnet.
Und noch ein Trump-Auftritt nach Brüssel könnte für Georgien aufschlussreich sein. Er habe sich die Frage gestellt, sagte er in einem TV-Interview, warum die Nato-Partner ein kleines Mitgliedsland wie Montenegro im Fall eines Angriffs verteidigen müssten. Montenegro zu verteidigen, könnte zum „Dritten Weltkrieg“ führen. Weiter: Montenegro sei ein winziges Land mit „sehr starken“ und „sehr aggressiven“ Menschen. Und die, nur so kann diese Aussage verstanden werden, könnten die NATO jederzeit über die Beistandsklausel in eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Russland zwingen. Oder Russland könnte eine solche Auseinandersetzung über einen Konflikt mit Montenegro provozieren. Ob sich irgendjemand in Georgien mal die Mühe macht, an Stelle von Montenegro das eigene Land zu setzen? Im Jahr 2008 wäre in solcher Fall fast eingetreten, wenn sich George W. Bush auf dem NATO-Gipfel durchgesetzt hätte.
Es war dann Putin, der dem georgischen Wunsch nach NATO-Mitgliedschaft eine deutliche Abfuhr erteilte und dies bereits einen Tag nach seinem Treffen mit Donald Trump. Für Russland bedeute NATO-Infrastruktur an seinen Grenzen eine starke Bedrohung, auf die man sehr ernst reagieren werde. Er habe darüber allerdings nicht mit seinem amerikanischen Kollegen gesprochen. Es hat den Anschein, als ob sich die beiden in dieser Frage bestens verstehen, auch ohne das Thema anzusprechen. Wohlgemerkt in der Öffentlichkeit anzusprechen.
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