Georgien und die NATO-Mitgliedschaft (Folge 4)
Als die junge georgische Republik in den Anfangsjahren vor der Aufgabe stand, eine eigene Armee aufzubauen, fehlten sowohl die finanziellen Mittel als auch das notwendige Know-How. Das russische Offizierskorps der Streitkräfte aus der UdSSR stand nicht mehr zur Verfügung. So war man auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Diese Lücke füllte dann vor allem der NATO-Nachbar Türkei, während sich NATO und die USA noch einige Zeit auffällig zurückhielten. Ob dies Ergebnis einer Absprache war, um die Nachfolger der Roten Armee beim nördlichen Nachbarn Russische Föderation nicht allzu sehr zu reizen, muss heute nicht mehr unbedingt hinterfragt werden. Denn als dieser Artikel in www.georgien-news veröffentlicht wurde, war die Pankisi-Krise, mit deren Inszenierung sich die USA als militärische Schutzmacht Georgiens ins Spiel brachten, schon heftig im Gange. Über den Verlauf dieses Polit-Spektakels und seine Folgen werde ich in Kürze in einer eigenen Graswurzel-Serie berichten. Hier erst einmal der Artikel vom Juni 2002:
Mit Gottes und der Türken Hilfe
Georgien will in die NATO
Vor einem Gebäude auf dem Gelände der georgischen Militärakademie mitten in Tbilissi weht eine türkische Flagge. Die Sporthalle der Akademie samt Kraftraum und Kantine wurde von der Türkei finanziert und gebaut. Zwei Minuten vom Rustaweli-Prospekt entfernt steht das neue „Hotel Tori“. Es gehört der georgischen Armee und wird von ihr – warum auch immer – auch betrieben, ein Geschenk des türkischen Generalstabs an seine georgischen Kollegen. Mehr als 28 Millionen Dollar hat der große Nachbar im Süden bislang in die Armee Georgiens gepumpt. Weitere vier Millionen Dollar sind bereits vertraglich vereinbart. Ohne türkische Militärhilfe wäre der Traum Georgiens, irgendwann einmal Mitglied der NATO zu werden, noch illusorischer als er Eingeweihten eh erscheinen mag. Trotzdem klopfen die Georgier unüberhörbar an den Pforten des Bündnisses und die Türkei, so hoffen sie, unterstützt sie dabei. Vor etwa einem Jahrzehnt war die Grenze zwischen Georgien und der Türkei noch die zwischen NATO und Warschauer Pakt.
Die Türkei ist im Kaukasus bald wieder da, wo sie früher schon einmal war: eine Regionalmacht mit Einfluss und Möglichkeiten. Das zeigt sie vor allem bei ihrer Militärhilfe für Georgien, dessen Armee bei der militärischen Erbschaft aus der Sowjetzeit und ohne eigene Finanzmittel kaum in der Lage wäre, ihren Aufgaben auch nur annähernd nachzukommen. Jüngstes Beispiel: die Sanierung der von den Russen entsprechend dem Istanbuler OSZE-Abkommen von 1999 geräumten Militärbasis Vaziani, etwa 18 Kilometer außerhalb von Tbilissi gelegen. Im Juni 2001 haben die Russen das heruntergekommene Gelände endlich verlassen, heute befinden sich dort Unterkünfte für 2.000 Soldaten samt neuer Sanitärräume, einer Kantine und einer Krankenstation. Die Türken, mit deren Hilfe die Sanierung gerade noch rechtzeitig zu dem seit langem geplanten NATO-Manöver fertig wurde, investierten 1,5 Millionen Dollar, 250.000 steuerte der georgische Verteidigungsminister aus seinem Mini-Haushalt bei, immerhin. Als am 4. Juni die öffentliche Einweihung der neuen Militärbasis stattfand, erklärte der georgische Verteidigungsminister David Tevsadse voll Stolz, nichts Besseres in seiner Armee anbieten zu können als diese Basis, wenngleich dem Betrachter auffällt, dass außerhalb des feinen Kantinengebäudes noch jede Menge Arbeit auf die Sanierer wartet. Für den verantwortlichen türkischen General jedenfalls gab es einen Verdienstorden der georgischen Armee. Und was nach dem NATO-Manöver aus dem türkischen Schmuckstück in Händen der georgischen Armee werden wird, bleibt abzuwarten.
Das Interesse der Türken an einer starken georgischen Armee liegt auf der Hand. Zum einen geht es darum, das Machtvakuum im Kaukasus, das mit dem Rückzug der Sowjets entstanden ist, aufzufüllen und Georgien langfristig nicht wieder dem alten Rivalen Moskau auszuliefern. Zum anderen will man die strategisch wichtigen Pipelines zwischen Kaspischem Meer und Mittelmeer, die durch den Kaukasus in die Türkei führen, sichern. Da ist eigene Präsenz und Hilfe angesagt, denn mit einer georgischen Armee, die mangels Masse, Personal und Ausrüstung ihre Aufgabe kaum erfüllen kann, ist eine langfristige angelegte Stabilität des Kaukasus kaum zu erreichen. Dabei entsteht gelegentlich der Eindruck, dass sich die Türken in Georgien auf eigene Rechnung etwas mehr einbringen als es den anderen NATO-Partnern lieb sein kann. Denn unabhängig vom publicityträchtigen amerikanischen „Train and Equipp Program“ ist die Türkei der eigentliche Patenonkel der georgischen Armee.
Amerikaner und Türken haben mittlerweile im georgischen Verteidigungsministerium eigene Koordinierungsstäbe, während das auf der anderen Hofseite liegende große Verwaltungsgebäude der ehemaligen russischen transkaukasischen Kommandantur immer mehr verwaist. Viel Leben ist in dem riesigen Verwaltungstrakt nicht mehr zu entdecken, in dem einst der oberste rote General im Transkaukasus, damals ein mächtiger Mann, residierte. Im georgischen Verteidigungsministerium haben die Russen seit langem nichts mehr zu suchen, erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministers. „Die helfen uns ja auch nicht beim Aufbau unserer Armee.“ Das machen jetzt eben andere.
Deshalb haben die Türken nicht nur in Militärbasen wie Vaziani, den Flugplatz Marneuli oder die Generals-Absteige „Hotel Tori“ investiert. Zwei Hubschrauber und drei Militärschiffe haben sie den Georgiern bereits geschenkt. Und in den Kasernen und Militärakademien der Türkei wurden bereits nahezu 1.500 georgische Soldaten ausgebildet. Derzeit sind es 139, die in der Türkei ihre Ausbildung erfahren. Andere NATO-Länder wie Deutschland bilden ebenfalls georgische Offiziersanwärter aus, allerdings weitaus weniger als die Türken. Deutschland ist vor Ort vor allem in der Ausbildung von Unteroffizieren engagiert. Wie das später einmal alles zusammen passen soll in der Kommandostruktur einer georgischen Armee, die keine Unteroffiziere kennt, weiß bisher niemand. Außerdem fördert die Bundewehr das Heeresmusikkorps der Georgier.
Das Thema Ausbildung steht beim türkischen Engagement in der Militärakademie obenan. Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, will man die gesamte Offiziersausbildung in Kürze auf das türkische System umstellen und glaubt, damit NATO-Standards erreichen zu können. So könnte dann in etwa vier Jahren die erste Generation an Offizieren aus eigener, das heißt georgisch-türkischer Ausbildung in der Truppe Verwendung finden. Die entsprechenden Umstellungen werden in einem gemeinsamen Stab in der Militärakademie vorbereitet, vor der neben der georgischen Flagge ja auch die türkische weht. Das Haus dient türkischen Offizieren auch als Unterkunft, vor einem Jahrzehnt noch unvorstellbar. Heute redet jedermann in der georgischen Armee nur noch von NATO-Standards, die man in Kürze erreichen wolle. Die Türken sollen dabei helfen. Das Jahr 2006 ist schon fest als Eintrittsdatum in das atlantische Bündnis vorgesehen.
Aber irgendwie scheinen die Georgier ihrem neuen Verbündeten nicht ganz zu trauen. Auf dem Gelände der Militärakademie haben junge Rekruten – in Eigeninitiative, wie versichert wird – eine kleine orthodoxe Kirche gebaut, die sich großer Beliebtheit auch unter den umliegenden Zivilbewohnern erfreut. Jeden Sonntag lässt ein emsiges zivil-religiöses Treiben vergessen, dass man sich auf dem Areal einer Militärakademie befindet. Vielleicht muss neben dem großen, wenngleich säkularen, so doch muslimischen Militär-Bruder auch noch ein alter Verbündeter der Georgier helfen, der heilige Georg, um die Erben der Sowjetmacht endgültig in die Arme des Verteidigungsbündnisses zu bringen, das dem christlichen Europa jetzt über einige Jahrzehnte Sicherheit gebracht hat.
Die georgische Armee versucht gerade, auch auf einem anderen Sektor langsam aber sicher NATO-Standards zu erreichen. Der Verteidigungsminister hat jüngst einen Gesetzesentwurf zur Reform der Streitkräfte eingereicht. Danach soll das Ministerium, das bisher noch so eine Art militärischer Generalstab ist, zu einem überwiegend zivil geführten politischen Leitungsorgan umgewandelt werden. Auch die Rekrutierungsbüros im Lande, Quellen unendlicher Korruption, sollen aus dem Militärbereich ausgelagert und in die zivilen Hände der Lokalverwaltungen übergehen. Ob Musterungen und Rekrutierung dadurch gerechter und transparenter werden, bleibt abzuwarten.
Wird dieses Gesetz vom Parlament angenommen, könnte schon der Nachfolger von General David Tevsadse als Verteidigungsminister ein Zivilist sein. Möglich, dass der füllige Minister, der Draufgängertum ebenso verkörpert wie gesunde Lebensfreude, dafür seinen Uniformrock an den Nagel hängt. Sein Pressesprecher scheint dieses Modell schon einmal zu testen. Der Reserveoffizier nennt sich Assistent des Verteidigungsministers für Öffentlichkeitsarbeit und firmiert auf seiner Visitenkarte schlicht und einfach als Mr. Mirian M. Kiknadse. Er ist freundlich und auskunftsbereit, bei weitem nicht so abweisend und schroff wie man es von den Militärs russischer Prägung kannte. Es gibt also NATO-Standards, die schnell erreicht werden können, auch von der georgischen Armee.