35 Jahre Georgien an der Graswurzel erlebt (7)

Georgien und die NATO-Mitgliedschaft (Folge 2)

In der letzten Graswurzelgeschichte haben wir uns mit dem sensiblen Thema der NATO-Mitgliedschaft Georgiens befasst und vor allem mit der klaren Haltung von Donald Trump, die er schon während seiner ersten Präsidentschaft nicht verhehlen konnte. Der Hintergrund der politischen Propagandaschlacht seit vielen Jahren liegt im doppeldeutigen Beschluss des NATO-Gipfels von 2008, nach dem Georgien die Mitgliedschaft fest zugesagt wurde. Dies allerdings unter der verpflichtenden Voraussetzung eines so genannten Membership Action Plans (kurz: MAP), was immer wieder gerne übersehen wird. Aber – wie in jedem Vertrag – es kommt auch auf das Kleingedruckte an. Dank dieses zweifelhaften diplomatischen Wischi-Waschis, damals durchgesetzt von einer allseits bekannten deutschen Kompromiss-Maschine, kann ein Teil der NATO immer wieder behaupten, die Zusage für eine Mitgliedschaft steht doch, während der andere Teil zunächst einmal auf die Formulierung und danach auchcnoch auf die Implementierung eines MAP bestehen kann. Und das ist bis heute nicht annähernd in Sicht. Dazu passt jetzt eine Geschichte, die ich gerade vor wenigen Wochen erlebt habe:

Hat das Tifliser Information Center von NATO und EU eine völlig andere Sicht?

In einer Video-Konferenz und in mehreren Vorträgen zu Georgien habe ich auf diesen Zustand hingewiesen und die Meinung vertreten, dass die Forderung nach einem NATO-Beitritt Georgiens völlig unrealistisch sei, so sehr sie auch vor allem aus NATO-Kreisen und von verschiedenen NATO-Mitgliedsländern gebetsmühlenartig erhoben wird. Dafür wurde ich oft genug heftig kritisiert und als „Putinist“ abgekanzelt. In einer dieser Diskussionen erklärte mir dann aber ein Teilnehmer, dass es ja gar nicht stimme, dass die NATO den Beitritt Georgiens befürworte. Und dies begründete er mir in einer E-mail-Korrespondenz kurze Zeit später dann so:

Er war bei einem Besuch in Georgien im Oktober 2019 – also etwa ein Jahr nach der in meinem Artikel zitierten Pressekonferenz von Donald Trump – zu einer Veranstaltung im „Information Center on Nato and EU“ am Freiheitsplatz in Tiflis eingeladen. Und über diese Veranstaltung schrieb er mir folgende Beobachtungen:

„Auf dem Podium saßen jeweils ein offizieller Vertreter der Nato und der EU (Namen habe ich vergessen) sowie Manuel Sarrazin, der ‘Sondergesandte der Bundesregierung für die Länder des westlichen Balkans’. Meines Wissens handelte es sich um eine öffentliche Veranstaltung. Anwesend waren viele junge Leute, evtl. Studenten. Der Tenor der Veranstaltung war: Ein Beitritt zur EU und schon gar zur Nato steht heute nicht auf der Tagesordnung – zum großen Leidwesen der meisten Anwesenden. Eine perspektivische EU-Mitgliedschaft war ja damals bereits in der Verfassung verankert und steht auch nicht im Widerspruch zu guten nachbarschaftlichen/wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland.

Der Nato-Vertreter war ziemlich zurückhaltend, soweit ich mich erinnere. Es ist ja auch eher eine Frage, die Georgien für sich klären muss, ob sie Mitglied der Nato werden wollen. Die Baltischen Staaten und jüngst Schweden und Finnland haben das ja eindeutig für sich beantwortet – aus guten Gründen.“

Soweit die Information, die ich erhielt. Noch einmal zur Klarstellung: Auf einer Veranstaltung im Informationszentrum von NATO und EU in der georgischen Hauptstadt im Jahr 2019 gab es offensichtlich nicht den geringsten Anlass, die Forderung nach einer Mitgliedschaft Georgiens im nordatlantischen Bündnis zu forcieren. Das Gegenteil dürfte der Fall gewesen sein: Vertröstung auf St. Nimmerlein. So hat es jedenfalls mein Informant eingeschätzt.

Die Fragen, die ich ihm zuvor in einer E-mail gestellt hatte, bleiben für mich aber nach wie vor aktuell:

„Wenn die realpolitische Situation in der NATO so ist, dass eine Mitgliedschaft Georgiens in absehbarer Zukunft nahezu ausgeschlossen werden kann, was ja NATO-Leute auch mir gegenüber in vertraulichen Gesprächen immer wieder betont haben, warum verzichtet dann die offizielle NATO nicht auf diesen Anspruch und schafft vor allem gegenüber den betroffenen Staaten endlich Klarheit? Das könnte doch die künftige Entwicklung in diesen Ländern erheblich beeinflussen, bzw. vielleicht sogar vereinfachen. Wer hindert die NATO an dieser aufrichtigen Klarstellung der realpolitischen Situation?“

Zu bedenken ist dabei, dass es in der NATO den Grundsatz der Einstimmigkeit gibt. Und das haben mir einige NATO-Insider in den letzten Jahren immer wieder bestätigt: Eine solche Einstimmigkeit ist wohl nie und immer zu erwarten, nicht einmal in der Formulierung eines MAP und damit auch nicht in der Frage der Mitgliedschaft.

Ganz nebenbei: Bei nahezu jeder Stadtführung, die ich in Tiflis für Touristen mache, wird mir die Frage gestellt, welchen Sinn es macht, dass NATO und EU ein gemeinsames Informations-Zentrum in der georgischen Hauptstadt unterhalten. Was kann – oder was soll – uns diese Kooperation eigentlich sagen, wird da immer wieder gefragt. Kann – oder darf – sich die EU nicht eigenständig und ohne den Schutzschirm der NATO präsentieren?

In den nächsten drei Graswurzelgeschichten aus den Jahren 2002 werde ich noch einiges aus meinen damaligen Berichten zum Thema NATO und Georgien zitieren. Und später folgen dann ausführliche Hintergründe über die Pankisi-Krise, die ich als Produktionsleiter für das ZDF ziemlich intensiv vor Ort habe erleben dürfen. Das war ebenfalls im Jahr 2002.