Georgien und die NATO-Mitgliedschaft (Folge 5)
Im August 2002 wurde in der Nähe von Tbilissi das amerikanische „Georgian Train & Equip Program“, kurz GTEP, präsentiert, der offizielle Einstieg der USA als Schutzmacht der georgischen Armee. Vorausgegangen war eine halbjährige Polit-Inszenierung, die als „Pankisi-Krise“ ein abgeschiedenes Seitental in Kachetien in die Schlagzeilen der Weltpresse gebracht hatte. Wir werden demnächst in einer eigenen kleinen Graswurzel-Serie diese Ereignisse im Detail mit vielen Hintergründen abhandeln. Bei der Eröffnungszeremonie dieses Programms allerdings wurde so ganz nebenbei deutlich, welche Rolle sich die Bundesrepublik bei der Unterstützung der georgischen Armee, bei der sie sich ja als NATO-Mitglied auch irgendwie engagieren musste, ausgedacht hatte. Neben der durchaus fragwürdigen Ausbildung von Unteroffizieren, für die es in der damaligen georgischen Heeresstruktur überhaupt keine Verwendung gab, hatte man sich vor allem große Verdienste bei der Förderung und Ausbildung des Heeresmusik-Korps erworben. Dessen Leiter konnte mehrere Lehrgänge bei der Bundeswehr absolvieren, für seine Musiker erhielt er ganze Sätze von Noten. Dies wurde deutlich, als ich ein ZDF-Team begleiten durfte, das über dieses amerikanische Trainings-Programm wie auch die Pankisi-Krise berichtete. Hier mein Artikel vom September 2002:
Schöner Gigolo unter dem Sternenbanner
Einweihung des US-finanzierten Trainingszentrums der georgischen Armee
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt prangte auf der georgischen Militärbasis Krtzanissi in der Nähe von Rustavi nur ein einziger Stern, der des Sowjetregimes. Seit dem 29. August 2002 wehen insgesamt 50 Sterne über dem Camp, die des amerikanischen Sternebanners. In einer Militärzeremonie eröffnete die georgische Armee zusammen mit ihren amerikanischen Trainern die dritte Phase des sogenannten „Georgian Train & Equip Programs“, kurz GTEP, bei der insgesamt drei Bataillone einer georgischen mobilen Eingreiftruppe ausgebildet werden sollen. Das erste Bataillon von rund 500 Mann plus einem Zug der Grenzschutztruppen war gemeinsam mit seinen amerikanischen Ausbildern zum feierlichen Appell angetreten.
Eine Stunde vor dem Eintreffen des georgischen Staatspräsidenten ließ der Dirigent des georgischen Armee-Musikkorps seine Mannen noch einmal die beiden Nationalhymnen üben, dann wohl zur Erheiterung der Gäste und als Willkommensgruß an die neuen Freunde aus Amerika ein Swing-Medley, das die Knie der Anwesenden gnadenlos strapazierte. Schließlich war noch deutsches Musikgut an der Reihe: Der unvermeidliche „Alte Kamerad“ erklang und dann Schlager der 20-er Jahre: „Ich hab das Fräulein Helen baden sehn“ und „Schöner Gigolo“. Auch die musikalischen Themen haben sich auf georgischen Übungsplätzen geändert, auch wenn sich der Militärdirigent mit seinen Mannen vornehmlich auf Russisch unterhielt, der Kommandosprache früherer Zeiten. Aber immerhin: Die Unterstützung der bundesdeutschen Militärmusik für das georgische Heeresmusikkorps hat sich anscheinend bewährt. (Kleine Anmerkung von heute: Nachdem der Leiter des Heeresmusikkorps nach den Proben der Nationalhymnen erfahren hatte, dass ein deutsches TV-Team von dieser Zeremonie berichtete, spielte er speziell für dieses und aus Dankbarkeit für die Unterstützung durch die Bundeswehr, wie er uns sagte, ein kleines Konzert mit Bundeswehr-Arrangements. Gigolo, Fräulein Helen und der Alte Kamerad durften uns deutsche Journalisten also besonders herzlich begrüßen.)
Danach war aber Englisch angesagt, denn das Kommando bei dieser Zeremonie führte ein Amerikaner: Major Grosso, der Chef der amerikanischen Ausbilder. Rund 50 sind es in den ersten Monaten der dritten GTEP-Phase, sie sind in einem neuen Camp mit Fertigbauten untergebracht, das von einer türkischen Baufirma in Windeseile aus dem Boden gestampft wurde. Die georgischen Soldaten wohnen in Zelten.
Das GTEP-Projekt wurde im Frühjahr dieses Jahres publik, als ein amerikanischer Diplomat in Tbilissi die Welt mit der Neuigkeit überraschte, dass eventuell Al Qaida Kämpfer im Kaukasus und damit im Pankisital seien, gegen die sich die georgische Armee ohne Unterstützung von außen nicht wehren könne. Hilfe sei deshalb dringend geboten und der amerikanische Kongress machte 64 Millionen US-Dollar für das Ausbildungsprogramm locker. Dass eine entsprechende Ausbildung von drei Bataillonen – so viele sollen es im Endausbau sein – mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde, die Bekämpfung des Terrorismus im Pankisital jedoch niemals so lange aufgeschoben werden konnte, interessierte damals niemanden. Die Weltpresse hatte den Stoff, nach dem sie giert, der Stoff, aus dem heutzutage Politik entsteht oder – präziser gesagt – der Stoff, mit dem heutzutage Politik verkauft wird: „Bin Laden im Pankisital“.
Jetzt ist das Trainingsprogramm mit der Aufstellung des ersten Bataillons etabliert und drei Tage zuvor haben die Georgier mit Verbänden des Innenministeriums im Pankisital mit ihren Aufräumungsarbeiten begonnen – ganz ohne amerikanische Hilfe, wie immer wieder betont wird. Dass das GTEP-Programm aber sogar von George W. Bush nahezu ausschließlich mit der Terrorismusgefahr im Pankisi begründet wurde, muss heute niemanden mehr interessieren. Die Amerikaner sind hier und nahezu alle im Lande denken, das ist gut so. Der amerikanische Botschafter Robert Miles fand schließlich in seiner Rede die Kurve, indem er beiläufig erklärte, dass unter denen, die die Pankisi-Operation geplant hätten, auch Offiziere wären, die an den ersten Stufen von GTEP teilgenommen hätten. Seit April hatte man nur Stabspersonal in der Planung und Durchführung von Anti-Terror-Einsätzen unterrichtet.
Somit hatte GTEP und das militärische Zeremoniell von Krtzanissi dann doch irgendetwas mit dem Pankisi und der aufwendig inszenierten Al Qaida-Begründung zu tun. Dass es den Amerikanern mit ihrer militärischen Präsenz weniger um die Lage im Pankisital als um eine längerfristige strategische Option im Kaukasus geht, wurde deutlich, als Robert Miles bei einem Interview im Pankisital tags danach auf Anfrage des ZDF-Reporters einräumte, es gehe bei dem amerikanischen Engagement natürlich auch darum, die Pipelines durch Georgien, ideale Angriffsziele für Terror-Attacken, zu schützen. Und es war in Tbilissi nie ein Geheimnis, dass das internationale Baukonsortium aus der Kaspi-Region unter der Führung von BP-Amoco Schwierigkeiten haben würde, die notwendigen Investoren und Kreditgeber zu finden, wenn nicht Amerika irgendeine Art von Sicherheitsgarantie abgegeben hätte. Ansonsten hätte das Konsortium wohl von der amerikanischen Regierung die Mehrkosten für die Route über Georgien eingefordert, eine Route, die auf Druck Washingtons schließlich durchgesetzt wurde.
Es ist kaum jemandem aufgefallen, dass die mit Al Qaida begründete Ankündigung von GTEP im Frühjahr gerade rechtzeitig vor einer großen internationalen Ölkonferenz in Tbilissi kam, in deren Mittelpunkt unter anderem auch die Finanzierung der Pipelines stand. Bei der Zeremonie in Krtzanissi deklinierte der amerikanische Botschafter diese Motivation des amerikanischen Engagements mit der verschlüsselten Bemerkung, die zweijährige US-Ausbildung solle mithelfen, dass die georgische Armee ihren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen kann, Frieden und Stabilität im Kaukasus herzustellen, um eine volle wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu ermöglichen. Dies sei in den letzten Wochen umso klarer geworden, in denen das Land einiger Schläge von innen und außen ausgesetzt gewesen sei. Von wem diese Schläge kamen, erwähnte er mit keiner Silbe, wie auch Eduard Schewardnadse sich in seiner Rede peinlichst darum bemühte, die Ereignisse der letzten Woche nur mit der Bemerkung zu streifen, Georgien müsse alle seine Probleme in eigener Verantwortung lösen. Allerdings: Ab sofort helfen die Amerikaner dabei.
Irgendwo in der Nähe von Tbilissi wurden schon Monate vor der Al Qaida-Erkenntnis dieses Frühjahrs einige amerikanische Hubschrauber stationiert, die später wohl dazu dienen sollen, die jetzt auszubildende Eingreiftruppe mobil zu halten. Die Hubschrauber wurden dem georgischen Verteidigungsministerium von Amerika und der Türkei geschenkt, die Türkei sponsert für zwei Jahre auch das Flugbenzin. Die Piloten wurden 14 Monate in den USA ausgebildet, eine Verbindung zu GTEP ist offensichtlich. Denn was soll eine mobile und flinke Hubschrauberflotte ohne ausgebildete Eingreiftruppe? Oder was soll eine Elite-Eingreiftruppe, die kaum beweglich ist, weil sie nur über die schwerfälligen Hubschrauber russischer Bauart verfügt? Und schließlich: Ist es nicht auffällig, dass Bauende und Inbetriebnahme der Pipelines nahezu zur selben Zeit erfolgen sollen, in der die Grundausbildung der georgischen Elitebataillone abgeschlossen sein wird?
All diese Fragen waren am 29. August 2002 Nebensache, auf dem amerikanisch-georgischen Ausbildungscamp ging es ausschließlich um den 11. September und die Koalition gegen den Terror, der Eduard Schewardnadses Georgien als eines der ersten Länder der Welt offiziell beigetreten ist. Dafür erntete er an diesem Tag den gebührenden rhetorischen Dank. Der US-Major, der seine in Reih und Glied angetretenen georgischen Auszubildenden im Auftrag seines obersten Kommandoherren, Präsident George W. Bush, begrüßte, erklärte ihnen, bevor er Gott um Schutz für Georgien und die USA anflehte, kurz und bündig, sie seien die Besten ihrer Nation und damit deren Stolz. Deren Dienstherr, Verteidigungsminister David Tevsadse, hatte sie kurze Zeit später dann mit den spärlichen Worten begrüßt: „Das Land wartet auf Euch“, dabei wohlweislich die Tatsache unterschlagend, dass es nicht ganz einfach war, das Bataillon überhaupt aufzustellen. Wenige Wochen zuvor hatten sich noch nicht einmal 100 Soldaten in die Listen eintragen lassen und die georgische Armee hatte es wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung und wegen der über Monate rückständiger Soldzahlungen mit einer Desertationswelle zu tun, die bis in höhere Offiziersränge reichte. Die Soldaten des Elite-Bataillons werden weitaus besser besoldet als ihre Kameraden in den anderen Einheiten. 400 Lari erhält ein einfacher Elite-Soldat als Mindestsold, bis zu 800 die Offiziere. Der Sold soll nicht über Militär-Kassen ausbezahlt, sondern jedem Soldaten auf einem persönlichen Konto einer georgischen Bank überwiesen werden. Per Plastik-Konto-Karten können die Familien das Geld direkt abheben, damit nicht an jedem Monatsbeginn das Training unterbrochen werden muss, weil die Soldaten den erhaltenen Sold zur Unterstützung ihrer Familien nach Hause tragen müssen, erklärte das georgische Verteidigungsministerium.
Und es erkläre auch, dass es keinerlei Verzögerung bei der Bereitstellung der Gelder geben werde. Das Geld, so will es ein Dekret des Staatspräsidenten, soll im Verteidigungshaushalt bereitgestellt werden. Die Amerikaner finanzieren mit ihren 64 Millionen US-Dollar lediglich ihre eigenen Ausbildungskosten und das Equipment, das Georgien zur Verfügung gestellt wird, rund 2.000 Dollar für jeden Soldaten. Etwas mehr als drei Millionen Lari muss der georgische Verteidigungsminister seinem Kollegen vom Finanzministerium pro Jahr zusätzlich abringen, sollen die finanziellen Versprechungen, mit denen es überhaupt gelungen war, das erste Bataillon aufzustellen, eingehalten werden. Nicht wenige in Tbilissi zweifeln daran, ob das auch dauerhaft gelingen wird, und fragen sich, aus welchen Quellen die Mittel für die beiden weiteren Bataillone aufgebracht werden sollen. Auch ohne diese Mehrausgaben für die Elitetruppe fehlt dem Verteidigungsminister das Geld für notwendige Beschaffungen und den Unterhalt von Truppe und Material an allen Ecken und Enden. Von den beantragten 71 Millionen für das Jahr 2002 hat das Parlament lediglich 38,5 Millionen bewilligen können und bereits im ersten Halbjahr 2002 ist der Finanzminister mit vier Millionen im Rückstand. Für den GTEP-Sold muss in den nächsten Jahren bis zu 10 Millionen jährlich eingeplant werden. Außerdem wirkt der Sondersold für die GTEP-Soldaten bereits als Sprengstoff in der übrigen Armee. Ein anderes Bataillon, das auch als Elitebataillon gilt, hat bereits Nachschlag gefordert und mit Verlassen der Garnison gedroht, sollten sich die Verhältnisse nicht bessern. Der Gesetzesentwurf des Verteidigungsministers, jedem wehrfähigen Jugendlichen freizustellen, zu dienen oder 100 Dollar pro Dienstjahr zu entrichten und dafür nicht eingezogen zu werden, zeigt die Hilflosigkeit des neuen amerikanischen Verbündeten auf.
Der chronische Finanzmangel des georgischen Staates kann auf Dauer das Stück von der georgisch-amerikanischen Soldatenherrlichkeit, das in Krtzanissi uraufgeführt wurde, ernsthaft in Gefahr bringen. Aber vielleicht gibt es da doch irgendwelche unbekannten amerikanisch-georgischen Verrechnungsarten, mit denen dieses Risiko abgesichert ist, sind doch die Amerikaner und Georgier nach den Worten des GTEP-Kommandeurs Major Grosso „true friends, brothers and nations in arms“. Die Georgier hatten dies bereits im Frühjahr dieses Jahres mit einer Sonderbriefmarke mit dem Motto „We trust you, America“, bekräftigt, die den Terrorangriff auf das World Trade Center in New York zum Thema hatte. Vor einem Jahrzehnt noch stand der Waffenbruder Georgiens in einer völlig anderen Himmelsrichtung. Aber damals musste sich der ganze Kaukasus auch nach einem einzigen Stern ausrichten.